Gibt es ein „Gewohnheitsrecht“ bei der Arbeit?

- 27.06.2018 von Daniela Lütke -

Gewohnheitsrecht und ArbeitWenn vom Recht die Rede ist, denken die meisten Menschen sofort an dicke Gesetzbücher mit einer Unmenge an Paragraphen, durch die selbst noch die letzte Kleinigkeit geregelt wird. Dieses Recht wird oft auch als Richterrecht bezeichnet. Ihm steht das Gewohnheitsrecht gegenüber.

Was ist Gewohnheitsrecht?

Gewohnheitsrecht ist ein ungeschriebenes Recht, dass in keinem Gesetzbuch schriftlich festgehalten ist. Es handelt sich dabei um Regeln oder rechtlichen Vorstellungen, die von allen Beteiligten als verbindlich akzeptiert werden. Vom Gewohnheitsrecht im juristischen Sinn wird dann gesprochen, wenn bestimmte Regeln von allen ohne Widerspruch hingenommen werden, wenn diese Regeln über längere Zeit (mindestens 3 Jahre) angewendet werden und wenn sie allgemein und gleichmäßig (für alle geltend) angewendet werden. Ein typisches Beispiel für ein Gewohnheitsrecht wäre zum Beispiel, wenn der Chef allen Mitarbeitern im Monat ihres Geburtstages einen Extrabetrag zum normalen Lohn zahlt (Geburtstagsgeld).

Was ist eine betriebliche Übung?

Mit diesem Begriff werden Regeln bezeichnet, die im Betrieb über längere Zeit angewendet werden und die von allen Mitarbeitern akzeptiert werden. Betriebliche Übung kann in verschiedenen Bereichen zum Einsatz kommen. Werden betriebliche Übungen über mehr als 3 Jahre hinweg ohne Unterbrechung ausgeübt, werden sie zum Gewohnheitsrecht. Typische Beispiele für Gewohnheitsrecht sind Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld, aber nur dann, wenn sie an alle fest angestellten Mitarbeiter gezahlt werden und wenn ihre Höhe gleich ist. Damit ist nicht gemeint, dass jeder den gleichen Betrag erhält, sondern den gleichen Prozentsatz seines Verdienstes.

Weniger bekannt dagegen ist der Fakt, dass die Regelung der Pausenzeiten auch zum Bereich betriebliche Übung gezählt wird. Zwar wird im Tarifvertrag festgelegt, wie lang die Pausenzeiten sind, aber zu welchen exakten Zeiten und wie sie eingehalten werden, wird in jeder Firma anders gehandhabt. So wird in vielen kleineren Betrieben und den meisten Büros die Pause gemeinsam abgehalten. In größeren Produktionsstätten dagegen gibt es gleitende Pausenzeiten, damit die Produktion nicht ins Stocken gerät.

Die Handhabung einer Krankmeldung zählt ebenfalls zum Gebiet der betrieblichen Übung. Der Gesetzgeber legt zum Beispiel fest, dass der Arbeitnehmer spätestens am dritten Tag der Arbeitsunfähigkeit den Arbeitgeber davon in Kenntnis zu setzen hat. In vielen Firmen verlangt der Arbeitgeber dagegen die Krankmeldung bereits ab dem ersten Krankheitstag.
Wenn eine betriebliche Übung eine gewisse Zeit praktiziert wird und es dagegen keine Einwände gibt, wird sie zum Gewohnheitsrecht und somit zum Bestandteil des Arbeitsrechts.

Welche “gewohnten” Bereiche unterliegen dem Weisungsrecht des Arbeitgebers?

Das betrifft insbesondere die Arbeitszeit. Dazu einmal ein praktisches Beispiel: Selbst wenn ein Arbeitnehmer jahrelang in einem Zweischichtsystem eingesetzt wurde, kann er daraus kein Recht ableiten, immer Früh- und Spätschicht im Wechsel zu arbeiten. Wenn es die Interessen der Firma erfordern, kann ihn der Arbeitgeber zwingen, auch Nachtschicht zu arbeiten. Der Arbeitnehmer kann das nur ablehnen, wenn er aus gesundheitlichen oder familiären Gründen keine Nachtschicht arbeiten kann oder wenn in seinem Arbeitsvertrag ausdrücklich eine bestimmte Arbeitszeit festgelegt ist.

Ähnliches gilt auch für den Dienstort und die Tätigkeit. Der Arbeitgeber hat das Recht, den Arbeitnehmer beispielsweise in eine andere Abteilung oder Niederlassung zu versetzen und/oder ihm eine andere Tätigkeit zuzuweisen. Wenn der Arbeitnehmer dafür die notwendigen Qualifikationen und gesundheitliche Eignung besitzt, hat er kein Recht, diese Versetzung abzulehnen.

Wann und wie kann der Arbeitnehmer sein Gewohnheitsrecht einfordern?

Das trifft insbesondere auf freiwillige Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld aber auch Fahrtkostenzuschüsse, Kostenübernahme bei Weiterbildungsmaßnahmen, Essensgeld und anderes zu. Ab dem 4. Jahr, in dem diese Sonderzahlungen in Folge geleistet werden, entwickelt sich aus der betrieblichen Übung ein Gewohnheitsrecht, das ebenso einklagbar ist wie geschriebenes Recht.

Der Weg zum Arbeitsgericht sollte jedoch nur dann getan werden, wenn es nicht gelingt, mit dem Arbeitgeber eine gütliche Vereinbarung zu erzielen. Arbeitnehmer sollten sich bei Problemen bezüglich Gewohnheitsrecht immer zuerst an den Vorgesetzten oder den Betriebsrat wenden. Der Betriebsrat wird versuchen, zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu vermitteln und einen Streit vor Gericht zu verhindern. Gewerkschaftsmitglieder können sich auch an ihren zuständigen Gewerkschaftsvertreter wenden, um das weitere Vorgehen zu besprechen. / Fotoquelle: fotolia.de / © fizkes

Autor: Daniela Lütke

Daniela ist 2016 zu uns gestoßen. Als Journalistin und ehemalige Unternehmensberaterin hat sie sich ein enormes Wissen zu den Themen Ausbildung, Beruf & Karriere aufgebaut und versteht es, dieses geschickt in Worte zu fassen.