Bedingungsloses Grundeinkommen: zukunftsfähiges Modell oder falscher Anreiz?

- 27.05.2016 von Sonja Hess -

bedingungsloses GrundeinkommenFür die einen klingt es geradezu paradiesisch, für die anderen ist es beinahe eine Horrorvorstellung: ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle. Die Idee an sich ist nicht neu und wird unter Ökonomen schon seit Jahrzehnten immer wieder diskutiert. Im Juni 2016 werden die Schweizer darüber abstimmen.

Was ist unter einem bedingungslosen Grundeinkommen zu verstehen?

Als Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) wird ein sozialpolitisches Finanztransferkonzept bezeichnet, das staatliche Geldzahlungen an alle Bürger in einer existenzsichernden Höhe vorsieht. In der Schweiz wird beispielsweise aktuell über einen Betrag von 2.500 Franken monatlich diskutiert. Entscheidend ist dabei, dass die Zahlung so bemessen ist, dass zur Sicherung des Lebensunterhalts keine weiteren Einkommen oder bedingte Sozialleistungen erforderlich sind. Zudem erhalten alle Bürgerinnen und Bürger die Zahlung in derselben Höhe – unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, ihrer Vermögenslage und ähnlichen Kriterien. Als Argumente für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens werden sowohl humanitäre als auch ökonomische Aspekte angeführt.

Welche Vorteile könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen haben?

Das wohl am häufigsten genannte humanitäre Argument lautet, dass es mit einem bedingungslosen Grundeinkommen jedem Menschen möglich sei, ein menschenwürdiges Leben zu führen und sich auch mit solchen Tätigkeiten selbst zu verwirklichen, die nicht als Erwerbsarbeit im herkömmlichen Sinne entlohnt werden. Zudem komme es nicht zu einer Stigmatisierung von Arbeitslosen. Aus ökonomischer Sicht spricht für das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens, dass der Bedarf an Arbeitskräften in vielen Bereichen infolge von Rationalisierungsprozessen sinkt und in modernen Wohlfahrtsgesellschaften ohnehin schon mehr als die Hälfte der Bevölkerung von Sozialleistungen oder von den Einkommen anderer Personen abhängig ist. Die Vermeidung der hohen Kosten und des enormen bürokratischen Aufwands, der mit den bestehenden Sozialsystemen verbunden ist, ist ein weiteres wichtiges Argument.

Was spricht gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen?

Kritiker sehen im Zusammenhang mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens vor allem die Gefahr, dass dieses auf Dauer nicht in ausreichender Höhe bezahlbar wäre, zumindest nicht, sofern es tatsächlich existenzsichernder Höhe gezahlt wird. Gleichzeitig könnte der Anreiz zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit damit deutlich zurückgehen, wodurch der Wirtschaft dringend benötigte Arbeitskräfte nicht mehr zur Verfügung stünden. Würde jedoch nur ein sehr geringes bedingungsloses Grundeinkommen gezahlt, könnte das Ziel der Armutsbekämpfung dadurch nicht erreicht werden und es wären vermutlich weiterhin ergänzende Sozialleistungen erforderlich, die dann wiederum mit einem entsprechenden Verwaltungsaufwand einhergingen. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die geringere Notwendigkeit einer Erwerbstätigkeit für Schülern und Jugendlichen die Motivation zum Erwerb einer soliden schulischen und beruflichen Bildung untergraben könnte.

Welche Auswirkungen könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen auf die Gesellschaft haben?

Die konkreten gesellschaftlichen Auswirkungen eines bedingungslosen Grundeinkommens lassen sich bislang nicht exakt abschätzen, da es an Erfahrungswerten fehlt. Einige diesbezügliche Vermutungen wirken jedoch durchaus plausibel. Zum einen könnten Arbeitgeber mit einer höheren Motivation ihrer Beschäftigten rechnen, da diese ihrer Tätigkeit nicht mehr aus reiner existenzieller Notwendigkeit nachgehen würden. Da die Konzepte für ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Regel auch eine drastische Vereinfachung des Steuersystems vorsehen, wäre möglicherweise auch eine größere Steuerehrlichkeit zu erwarten. Geringere Bürokratie, weniger Kontrollmechanismen im Zusammenhang mit den verschiedenen Transferleistungen und das Wegfallen der „Bittsteller“-Position bedürftiger Bürger gegenüber den entsprechenden Behörden könnten zudem auch zu einer allgemein stärkeren Identifikation der Bürger mit ihrem Gemeinwesen führen und Tendenzen wie Politikverdrossenheit und Rückzug in den privaten Bereich entgegenwirken. Da die Bürgerinnen und Bürger weniger gezwungen wären, ihre Zeit für die materielle Sicherung ihres Lebensunterhalts einzusetzen, hätten sie auch die Möglichkeit, sich stärker in ehrenamtlichen Funktionen, insbesondere im sozialen Bereich und in der Politik, zu engagieren. / Fotoquelle: fotolia.de / © Stefan Gräf

Autor: Sonja Hess

Freiberufliche Autorin und Powerfrau, die sich in allen Bereichen zum Thema Arbeitsrecht, Finanzen und Karriere auskennt. Sie macht uns vor, dass es kein Problem ist, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. 2012 hat sie ihren ersten Text für uns geschrieben und nach einer etwas längeren Babypause freut sie sich nun, wieder die Ärmel hochkrempeln und schreiben zu können