Bertelsmann-Stiftung: Lohnunterschiede in Deutschland nehmen zu

- 23.03.2015 von Sonja Hess -

Lohnentwicklung in DeutschlandEine immer größere Lohnungleichheit in Deutschland stellt die renommierte Bertelsmann-Stiftung in einer Studie fest, die gemeinsam mit dem Münchner ifo-Institut durchgeführt wurde. Die Forscher sehen die Politik gefordert, für mehr Balance zu sorgen.

Die Schattenseiten des Beschäftigungswunders

Vordergründig steht Deutschland im europäischen Vergleich gut da. Die Wirtschaft wächst, die Beschäftigung befindet sich auf einem so hohen Niveau wie lange nicht mehr. Bei genauerem Blick zeigen sich aber auch deutliche Schattenseiten. Die Lohnentwicklung klafft seit Jahren immer stärker auseinander. Bei Besserverdienenden steigen die Löhne, Schlechterverdienende erhalten dagegen geringere Löhne. Langzeitarbeitslose, atypisch Beschäftigte und von Altersarmut Betroffene werden darüber hinaus zunehmend stärker an den Rand gedrängt. Die Folge ist eine wachsende Ungleichheit, die Ursache für mögliche gesellschaftliche Konflikte ist und sozialen Sprengstoff in sich birgt.

Folgende Zahlen machen das Auseinanderdriften deutlich: seit Mitte der 1990er Jahre sind die Reallöhne der Besserverdienenden – des oberen Fünftels in der Gehaltspyramide – um 2,5 Prozent gestiegen, Schlechtverdienende – das untere Fünftel – mussten dagegen reale Einkommenseinbußen von 2 Prozent hinnehmen. Das Zahlenwerk stützt sich dabei in erster Linie auf entsprechende Facherhebungen der Bundesagentur für Arbeit. Die Lohnungleichheit ist in Deutschland damit zwar immer noch geringer als im OECD-Schnitt, entwickelt sich aber schneller auseinander als zum Beispiel in Großbritannien oder den USA – dies, obwohl beide Länder traditionelle für starke Ungleichverteilung bei den Löhnen bekannt sind.

Die Hauptursache: sinkende Tarifbindung

Als Ursache für die zunehmende Lohnspreizung identifizieren die Forscher dabei vor allem die sinkende Tarifbindung von Unternehmen und Beschäftigten. Sie trägt mehr als alle anderen Faktoren zur Lohnungleichheit bei. In der Studie wird dieser Erklärungsfaktor mit 43 Prozent bewertet. Im Untersuchungszeitraum ging der Anteil der tarifgebundenen Betriebe von 60 auf 35 Prozent zurück, bei den Beschäftigten sank der Tarifbindungs-Anteil von 82 Prozent auf 62 Prozent. Gleichzeitig stieg der Anteil der Niedriglohn-Beschäftigten von 18,7 Prozent auf 20,6 Prozent. Die stärkere Flexibilisierung der Löhne hat danach zwar zu einem „Beschäftigungswunder“ im Niedriglohnsektor geführt, die Lage der Beschäftigten selbst aber nur bedingt verbessert. Das Fazit lautet daher: da wo keine starken Gewerkschaften mehr die Interessen der Beschäftigten bei den Löhnen vertreten können, geht dies vor allem zu Lasten der unteren Lohngruppen.

Exportorientierung sorgt für Lohngerechtigkeit

Im Unterschied zur nachlassenden Tarifbindung kann die Globalisierung nach den Erkenntnissen der Studie dagegen sehr viel weniger für die Lohnungleichheit verantwortlich gemacht werden. Globalisierungsgegner argumentieren oft mit negativen Lohneffekten. Dafür liefern die Zahlen aber keinen hinreichenden Beleg.
Dazu haben die Forscher die Entwicklung der Beschäftigung und Entlohnung in exportorientierten Betrieben näher unter die Lupe genommen und mit rein im Inland tätigen Unternehmen verglichen. Insgesamt konnte der Faktor Exportorientierung dabei nur einen Erklärungsbeitrag von 15 Prozent zur Lohnspreizung liefern.

Vielmehr zeigte sich, dass exportorientierte Unternehmen im Schnitt sogar höhere Löhne zahlen als Firmen, die nur auf dem Inlandsmarkt agieren. Bereits Mitte der 1990er Jahre lag das Brutto-Lohnniveau in der Exportwirtschaft 11 Prozent über dem bei Inlands-Firmen. Dieser Abstand hat sich weiter auf jetzt 15 Prozent vergrößert. Die Forscher ziehen daraus die Schlussfolgerung, dass verstärkte Exportorientierung eher einen Beitrag zur Nivellierung von Lohnunterschieden leisten könne als die Auseinanderentwicklung zu verschärfen. In der Konsequenz wird gefordert, kleine und mittlere Unternehmen gezielt in ihrer Export- und Wettbewerbsfähigkeit zu unterstützen. Die Fokussierung der Förderung auf den Mittelstand wird als notwendig angesehen, da es diesen Firmen in der Regel schwerer falle, sich auf internationalen Märkten zu etablieren.

Mindestlohn alleine reicht nicht

Dies alleine reicht aber nach Erkentnissen der Studie nicht aus, um der wachsenden Lohnungleichheit entgegenzuwirken. Es würden zusätzlich flankierende Maßnahmen durch den Staat benötigt. Die Einführung des flächendeckenden Mindestlohns wird in diesem Zusammenhang zwar als ein positiver, aber nicht ausreichender Beitrag zu mehr Verteilungsgerechtigkeit gesehen. Anstrengungen darüber hinaus seien zwingend nötig. / Fotoquelle: fotolia.de / © Markus Bormann

Autor: Sonja Hess

Freiberufliche Autorin und Powerfrau, die sich in allen Bereichen zum Thema Arbeitsrecht, Finanzen und Karriere auskennt. Sie macht uns vor, dass es kein Problem ist, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. 2012 hat sie ihren ersten Text für uns geschrieben und nach einer etwas längeren Babypause freut sie sich nun, wieder die Ärmel hochkrempeln und schreiben zu können