Industriekletterer als Berufsbild: Chancen und Risiken

- 16.11.2015 von Sonja Hess -

IndustrieklettererAn Außenfassaden baumelnd fühlen sie sich wohl. Industriekletterer sind ausgebildete Höhenarbeiter. Sie kümmern sich um sämtliche Reparationsarbeiten, die hoch oben am Kirchturmdach, dem Fußballstadion oder der Windenergieanlage verrichtet werden müssen. Der Adrenalinkick ist garantiert, das Sicherheitsrisiko auch.

Dort, wo Gerüst und Kran nicht einsetzbar sind, kommen Industriekletterer ins Spiel. Was für die meisten Menschen ein Graus ist, bedeutet für sie Spaß an der Arbeit. Lediglich mit Seil, Gurt und Karabinerhaken gesichert kraxeln sie in schwindelerregenden Höhen immer weiter, um ihr Ziel wie Schornstein, Windrad, Strommast & Co. zu erreichen. Einmal angekommen, müssen sie ihr handwerkliches Geschick effizient unter Beweis stellen – ganz gleich, ob es stürmisch ist, regnet oder schneit.

Ungewöhnlicher Arbeitsplatz mit Abwechslung

Die Welt aus der Vogelperspektive betrachten. Das ist für Industriekletterer Alltag. Sie blicken auf klitzekleine Passanten hinab, die vom Fußgängerweg neugierig und fasziniert zu ihnen hinaufschauen, um zu beobachten, was die Höhenarbeiter da oben so machen. Und das kann bei jedem Projekt etwas ganz anderes sein: Der Kirchturm braucht neue Dachziegel, die Fassade des Hochhauses in der Innenstadt muss mit einem überdimensional großen Werbeplakat versehen werden oder der Hochspannungsmast hat eine neue Schicht Korrosionsschutz nötig. Einem Industriekletterer wird nicht langweilig – neben Nervenkitzel ist Abwechslung in diesem Beruf garantiert.

Der Weg zum professionellen Seilkünstler

  • Die Zusatzqualifikation zum Industriekletterer wird vom deutschen Fach- und Interessenverband für seilunterstützte Arbeitstechniken (FISAT) geregelt:
  • Die kostenpflichtigen Ausbildungskurse finden in Berufskletterschulen wie beispielsweise im Potsdamer Berufskletterzentrum statt.
  • Der Preis für den Grundkurs beträgt 790 Euro. Hier wird das Basiswissen vermittelt, das den Anforderungen an einen Industriekletterer entspricht.
  • Wenn ein Kletterlehrling diesen Kurs erfolgreich abgeschlossen hat, kann er seinen ersten Ausflug in die Höhe starten. Dies muss aber vorschriftsmäßig in Begleitung eines erfahrenen Kollegen erfolgen.
  • Optional stehen im Anschluss an den Grundkurs weitere Kurse zur Auswahl, die das erlernte Wissen stärker vertiefen.

Handwerksausbildung von Vorteil

Ein Industriekletterer verrichtet vielfältige Arbeiten, die einen Hintergrund im handwerklichen Bereich erfordern. Daher haben Anwärter auf diesen Job klare Vorteile, wenn sie eine Ausbildung als Handwerker vorweisen können. Aber auch Dachdecker oder Elektromeister sind gerne gesehen. Oft nimmt ein bereits erfahrener Handwerker intern in seinem Handwerksbetrieb an den Kursen der Zusatzausbildung zum Industriekletterer teil. Aber Achtung: Da dieser Beruf ganz klar eine Nischenbranche bedient, ist die Konkurrenz groß! Eine sehr gute Kletterausbildung kombiniert mit einschlägiger handwerklicher Erfahrung ist deshalb von großem Vorteil. Übrigens: Als Angestellter verdient ein Höhenarbeiter ca. 2.200 Euro/brutto im Monat. Meist arbeiten Industriekletterer allerdings auf freiberuflicher Basis und werden projektweise angeheuert.

Körperlich und geistig fit

  • Die Voraussetzungen für den Beruf des Industriekletterers liegen nahezu auf der Hand. Anstrebende Höhenarbeiter sollten vor allem:
  • über handwerkliche Kenntnisse verfügen,
  • schwindelfrei und körperlich fit sein,
  • keine Höhenangst haben,
  • mindestens 18 Jahre alt sein und
  • ein tadelloses Hör- und Sehvermögen mitbringen.

Hoch oben in den Lüften ist auch ein gewisses Organisationstalent vonnöten – denn in 200 Metern Höhe muss jeder Griff zu Schraubenzieher, Hammer & Co. sitzen. Hier kann man es sich nicht erlauben, ein Werkzeug am Boden vergessen zu haben oder einen falschen Griff zu tätigen. Aufmerksamkeit und geistiger Fokus sind ausschlaggebend.

Nicht ungefährlicher Nervenkitzel

Jedem Industriekletterer ist bewusst, dass er sich beim Klettern und Arbeiten in schwindelerregender Höhe potentiell in Gefahr bringt. Geprüfte Sicherheits- und Gurtsysteme sorgen jedoch dafür, dass schwerwiegende Unfälle weitestgehend ausbleiben. Überraschend ist jedoch die Tatsache, dass das sogenannte Hängetrauma eine der größten Gefahren für Höhenarbeiter darstellt. Hierbei handelt es sich um einen Schockzustand, der nach längerem freien Hängen in einem Gurtsystem auftreten kann. Aufgrund der permanenten aufrechten Körperhaltung versackt ein Großteil des Blutes in den Beinen. Bei falscher Behandlung kann das Hängetrauma sogar tödlich enden. So gilt es für jeden Industriekletterer trotz all der Euphorie für diesen Job, die nötige Portion Respekt vor der Höhe und der Arbeit unter widrigen Bedingungen zu behalten. / Fotoquelle: fotolia.de / © malafo

Autor: Sonja Hess

Freiberufliche Autorin und Powerfrau, die sich in allen Bereichen zum Thema Arbeitsrecht, Finanzen und Karriere auskennt. Sie macht uns vor, dass es kein Problem ist, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. 2012 hat sie ihren ersten Text für uns geschrieben und nach einer etwas längeren Babypause freut sie sich nun, wieder die Ärmel hochkrempeln und schreiben zu können