„Zwei Juristen, drei Meinungen“ – die alte Redewendung entspricht nicht selten der Realität. Dieser Umstand ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die deutsche Gesetzgebung oft von mehrdeutigen oder vagen Begriffen wie „fahrlässiges Verhalten“, „voraussichtlicher Intention“ oder „gesunder Menschenverstand“ geprägt ist. Darüber hinaus soll rein formal jeder Fall individuell betrachtet und in seinem Kontext eingeschätzt werden. Das gilt ebenfalls für das Arbeitsrecht und führt dazu, dass sich hier einige Annahmen als grundsätzlich falsch erweisen – selbst wenn sie von Laien oft als juristische Prinzipien vorgetragen und verbreitet werden. Zu zehn häufigsten Irrtümern in diesem Bereich zählen:
1. Im Vorstellungsgespräch darf nicht gelogen werden
Einer der häufigen Irrtümer entsteht bereits vor dem Arbeitsverhältnis: Ein Bewerber ist nicht verpflichtet, die Wahrheit zu sagen, wenn eine Frage gesetzlich als unzulässig eingeschätzt wird. Dazu zählen insbesondere private, besonders geschützte Themen wie:
- sexuelle Orientierung oder Identität
- politische und religiöse Überzeugungen
- allgemeine, nicht branchen- oder zielgerichtete Auskünfte zu Vorstrafen
- finanzielles Verhältnis im privaten Leben, zum Beispiel Schulden
- familiäre Situation, Familienplanung und Schwangerschaft
Bei einem Verstoß gegen die Privatsphäre ist es einem Bewerber durchaus erlaubt, irreführende und unwahre Angaben zu machen oder einfach zu schweigen.
2. Ohne Unterschrift kein Arbeitsvertrag
Mündliche Verträge besitzen volle Gültigkeit vor einem Gericht und können für ein Beschäftigungsverhältnis geschlossen werden. Voraussetzung für die Anerkennung ist lediglich, dass sie unzweifelhaft zum Beispiel durch Zeugen, Protokolle oder Sprachaufnahmen belegt werden können.
3. Keine Kündigung ohne vorherige Abmahnung
Ein Arbeitgeber kann seine Angestellten unter bestimmten Umständen fristlos oder ohne frühere Abmahnung kündigen. Dazu reicht ein Verhalten aus, dass aus Sicht eines Gerichts eine schwerwiegende Rechts- oder Pflichtverletzung darstellt. Eine vorhergehende Abmahnung gilt jedoch oft als erster Schritt, um eine rechtssichere Kündigung aussprechen zu können.
4. Langfristige oder häufige Krankheit ist kein Kündigungsgrund
Obwohl der Gesetzgeber die Hürde hoch ansetzt, kann eine Krankheit zu einer rechtswirksamen Kündigung führen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Arbeitgeber nachweist, dass es in Zukunft wiederholt oder permanent zu starken Beeinträchtigungen kommt, die seinen Interessen widersprechen.
5. Arbeitnehmer sind bei Krankheit zu Ruhe verpflichtet
Während einer Krankschreibung darf ein Angestellter weiterhin alles unternehmen, solange die Tätigkeit seinen Gesundheitszustand nicht zusätzlich beeinträchtigt. Dazu zählen alltägliche Tätigkeiten wie Einkaufen, Spaziergänge oder Besuche bei Freunden. Auch ein kurzer Erholungsurlaub ist vom Gesetz erlaubt, wenn er voraussichtlich zur Genesung beiträgt.
6. Bei Verletzungen besteht grundsätzlich ein Anspruch auf Lohnfortzahlung
Wer eine Krankheit oder Verletzung selbst hervorruft, indem er beispielsweise Risikosportarten betreibt oder seine Gesundheit auf andere Weise bewusst gefährdet, verliert seinen Anspruch auf eine Lohnfortzahlung. Sie gilt nur für Ursachen, die nicht direkt auf das Verhalten des Betroffenen zurückgehen und nicht von ihm wissentlich in Kauf genommen wurden.
7. Urlaub liegt generell im Ermessensbereich des Arbeitgebers
Ein Arbeitgeber darf einen bereits genehmigten Urlaub nicht ohne stichhaltige Begründung streichen, verlegen oder verkürzen. Ist er bereits angetreten, muss er nicht auf Verlangen des Chefs abgebrochen werden. Ausnahmen bestehen nur in Fällen, in denen ein Betrieb existenziell bedroht ist oder andere schwerwiegende Gründe vorliegen.
8. Konsequenzen dürfen nicht aus dem privaten Leben resultieren
Unternehmen und Behörden können von ihren Angestellten ein Verhalten erwarten, dass – in einem sehr strengen Rahmen – ihre Privatsphäre beeinträchtigt. Befindet ein Gericht Aktivitäten für rufschädigend, kann deshalb eine Abmahnung oder in extremen Fällen die Kündigung ausgesprochen werden. Dies gilt speziell für kriminelles Verhalten, Mitgliedschaft in extremistischen Organisationen und politischen Äußerungen etwa in sozialen Medien, wenn sie das Vertrauen erschüttern oder dem Image des Arbeitgebers dauerhaft schaden.
9. Arbeitnehmer müssen permanent erreichbar bleiben
Ruhezeiten dienen der ungestörten Erholung, falls sie nicht für feste Zeiträume vertraglich zum Beispiel als Bereitschaft vereinbart werden. Während ihnen ist kein Arbeitnehmer verpflichtet, Anrufe anzunehmen, E-Mails zu lesen oder auf Nachrichten zu reagieren. Der Chef darf zwar versuchen, seine Untergebenen zu erreichen – diese dürfen und können ihn jedoch auch straflos ignorieren.
10. Teilzeit bedeutet weniger Urlaub
Die Zahl der Urlaubstage errechnet sich nach den Arbeitstagen und unterliegt einer gesetzlichen oder tarifvertraglichen Regelung. Arbeitnehmer in Teilzeit und Minijobber haben relativ denselben Urlaubsanspruch wie Vollbeschäftigte. Arbeitsfreie Tage ersetzen ihn niemals und sind bei seiner Kalkulation nicht zu berücksichtigen. / Fotoquelle: © ARMMY PICCA – Shutterstock.com