Arztbesuche während der Arbeitszeit – erlaubt oder nicht?

- 17.10.2018 von Sonja Hess -

gelber Schein und KrankschreibungArbeitgeber und Arbeitnehmer stehen in einem vertraglich geregelten Verhältnis zueinander. Grundsätzlich gilt, dass der Arbeitnehmer während seiner Arbeitszeit seine Arbeitskraft dem Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen hat. Tut er das nicht, wäre es zumindest theoretisch eine Arbeitsverweigerung und demnach Grund für eine fristlose Kündigung. Wie verhält es sich jedoch, wenn der Arbeitnehmer während der Arbeitszeit zum Arzt geht?

Gibt es ein grundsätzliches Verbot, in der Arbeitszeit zum Arzt zu gehen?

Nein, so etwas gibt es nicht. Dieses würde auch gegen Grundrechte verstoßen und den Arbeitnehmer in seiner Freizügigkeit einschränken. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Arbeitnehmer machen kann, was er will. Ob ein Arztbesuch erlaubt ist oder nicht, hängt von den individuellen Umständen ab. Wer während der Arbeit akut erkrankt und die Erkrankung ist so schwer, dass die Arbeit nicht fortgesetzt werden kann, hat natürlich das Recht, zum Arzt zu gehen. Selbst einen geplanten Arztbesuch muss der Arbeitgeber genehmigen, wenn es sich beispielsweise um einen Termin bei einem Spezialisten handelt oder um medizinisch notwendige Behandlungen wie Physiotherapie oder Bestrahlungen.

Kann der Arbeitgeber darauf bestehen, dass der Arztbesuch in die Freizeit verlegt wird?

Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer seine Arztbesuche so zu planen, dass sie außerhalb der Arbeitszeit stattfinden. Falls es sich beispielsweise um einen Termin bei einem Spezialisten weit entfernt vom Wohnort handelt, muss sich der Arbeitnehmer dafür sogar Urlaub nehmen. Auch wenn es sich um eine minder schwere Erkrankung wie eine Erkältung oder leichte chronische Beschwerden handelt, muss der Arbeitnehmer seinen Termin in die Freizeit verlegen. Selbst ungünstige Sprechzeiten des Arztes sind nicht immer eine Begründung. Wenn es sich um einen Besuch bei einem allgemeinen Arzt handelt, könnte stattdessen ein anderer Arzt mit günstigeren Sprechzeiten aufgesucht werden.

Gibt es Ausnahmen von dieser Regel?

Ja, die gibt es. Der Arbeitgeber darf Schwangere nicht daran hindern, zu den Vorsorgeuntersuchungen zu gehen. Wenn im Haushalt des Arbeitnehmers Kinder (Personen unter 14 Jahren) oder pflegebedürftige Personen leben, darf der Arbeitgeber seinem Mitarbeiter nicht verweigern, mit ihnen auch während der Arbeitszeit zum Arzt zu gehen, vorausgesetzt es handelt sich um eine akute Erkrankung oder eine zwingend notwendige Behandlung.

Wie sieht das bei Beschäftigten in Teilzeit oder Gleitzeit aus?

Diese Arbeitnehmer verfügen in der Regel über mehr Freizeit als in Vollzeit Beschäftigte. Daher muss der Arbeitgeber nur in begründeten Ausnahmefällen akzeptieren, dass sie während der Arbeitszeit zum Arzt gehen.

Wie sieht es mit der Lohnfortzahlung bei einem Arztbesuch aus?

Wenn es sich um eine akute Erkrankung handelt, die zu einer Krankschreibung führt, muss der Arbeitgeber die Zeit des Arztbesuchs bezahlen. Auch Eltern, deren Kind akut erkrankt und mit ihm den Arzt aufsuchen müssen, können sich krankschreiben lassen. Für andere Arztbesuche während der Arbeitszeit gibt es in jeder Firma individuelle Regelungen. In manchen Unternehmen muss die verlorene Zeit nachgearbeitet werden, in anderen wird sie vom Lohn abgezogen, wieder andere akzeptieren die Abwesenheit stillschweigend, wenn sie eine Anwesenheitsbescheinigung des Arztes erhalten.

Was muss beim Arztbesuch während der Arbeit beachtet werden?

Passiert auf dem Weg zum oder vom Arzt ein Unfall, besteht kein gesetzlicher Versicherungsschutz. In diesem Fall ist ein Unfall kein Arbeitsunfall, sondern wird einem häuslichen Unfall gleichgestellt. Wenn ein Arztbesuch während der Arbeit unvermeidbar ist, sollte unbedingt vorher mit dem Arbeitgeber oder dem direkten Vorgesetzten das Gespräch gesucht werden. In den meisten Fällen lässt sich hier eine Lösung finden, die beide Seiten zufrieden stellt.

Diese könnte zum Beispiel darin bestehen, mit einem Kollegen die Schicht zu tauschen. Auf keinen Fall sollte sich jedoch der Arbeitnehmer still und heimlich aus der Firma entfernen und eigenmächtig den Arzt aufsuchen, ohne seinen Vorgesetzten darüber zu informieren. Das könnte eine Abmahnung oder gar eine fristlose Kündigung nach sich ziehen. Ob eine Bestätigung über den Arztbesuch notwendig ist oder nicht, hängt von den internen Vereinbarung innerhalb der jeweiligen Firma ab. In einer kleinen Firma mit einer Handvoll Mitarbeiter ist es wahrscheinlich nicht notwendig, in einem großen Unternehmen dagegen schon. Auf jeden Fall sollten Arbeitnehmer beim Verlassen und Betreten der Firma nicht vergessen zu stempeln. Falls nicht, könnte das eventuell als Arbeitszeitbetrug gewertet werden. / Fotoquelle: fotolia.de / © pictworks

Autor: Sonja Hess

Freiberufliche Autorin und Powerfrau, die sich in allen Bereichen zum Thema Arbeitsrecht, Finanzen und Karriere auskennt. Sie macht uns vor, dass es kein Problem ist, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. 2012 hat sie ihren ersten Text für uns geschrieben und nach einer etwas längeren Babypause freut sie sich nun, wieder die Ärmel hochkrempeln und schreiben zu können