Ungefähr die Hälfte aller Arbeitnehmer ist im Urlaub permanent für ihren Chef und ihre Firma erreichbar. Doch ist eine solche Praxis überhaupt rechtmäßig und drohen dem Betroffenen Konsequenzen, wenn er sie ignoriert?
Bundesarbeitsgericht bestätigt Anspruch auf ungestörten Urlaub
Die Rechtsprechung in diesem Punkt ist eindeutig: Kein Arbeitnehmer kann durch sein Unternehmen dazu gezwungen werden, an den Tagen seines gesetzlichen Pflichturlaubes von 20 Tagen im Jahr erreichbar zu sein. Diese Tage sollen ausschließlich der Erholung dienen und die wäre in einem solchen Fall unverhältnismäßig eingeschränkt oder gar nicht möglich. Dies gilt prinzipiell unabhängig von der Stellung innerhalb der Hierarchie – also nicht nur für Angestellte, sondern ebenso für den Chef, die leitenden Angestellten oder die Reinigungskraft. Einschränkungen sind nur in Fällen möglich, die eine „zwingende Notwendigkeit“ darstellen. Worin diese wiederum besteht, ist allerdings nur vage definiert.
Sicher ist immerhin: Ein betrieblicher Engpass etwa infolge eines überraschend hohen Arbeitsvolumen fällt nicht darunter. Erst wenn das ganze Unternehmen durch eine unvorhergesehene Entwicklung in seiner Existenz gefährdet ist und nur der betreffende Mitarbeiter Abhilfe schaffen kann, greift eine solche Notmaßnahme. Je höher die Position des Betroffenen ist, desto eher muss er in einem solchen Fall auch erreichbar sein. Von Führungskräften wird hier also mehr Bereitschaft als von einfachen Angestellten erwartet, denn dieser Einschränkung liegt auch eine bessere Vergütung zugrunde.
Urlaub ist nicht gleich Urlaub
Es gibt noch eine weitere Einschränkung den Urlaub betreffend. Denn das Recht auf Ruhe gilt erst einmal nur für den gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Tagen. In den meisten Fällen stellen aber viele Arbeitgeber ihren Beschäftigten mehr freie Werktage im Jahr zur Verfügung. Zudem ist in der Realität nur selten eindeutig geklärt, welche Tage zu dem gesetzlich geschützten und welche Tage zu dem freiwillig gewährten Zusatzurlaub gehören. In diesen wiederum kann der Arbeitnehmer durchaus kontaktiert werden, auch wenn ein einmal gewährter Urlaub auch dann nur mit dessen Zustimmung abgebrochen werden kann. Ansprüche auf die Erstattung von eventuellen Kosten – wie beispielsweise einer Hotelreservierung – hat dieser dann allerdings nicht. Praktisch entschädigen die meisten Arbeitgeber allerdings aus Kulanz ihren Mitarbeiter und gewähren darüber hinaus einen weiteren freien Tag.
Darf Urlaubsruhe durch den Arbeitsvertrag eingeschränkt werden?
Auch hier gilt: Einschränkungen während des gesetzlichen Mindesturlaubs sind nicht rechtmäßig, denn dieser ist ein einseitig zwingendes Recht, das durch eine Betriebsvereinbarung nur zugunsten des Mitarbeiters verändert werden darf. Werden zusätzlich freie Urlaubstage gewährt, könnte diese Vereinbarung theoretisch durch eine Klausel zur Erreichbarkeit ergänzt werden. Das kommt in der Realität aber praktisch fast nie vor – schließlich sorgen sich viele Unternehmen auch um ihre Attraktivität als Arbeitgeber und stellen gerade wichtigen Mitarbeitern entsprechende Anreize zur Verfügung. Es gibt zudem eine weitere Einschränkung: Wurden vertraglich Leistungen mit einer eindeutigen Frist zugesichert, müssen diese auch eingehalten werden. Solche Verträge sind zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer jedoch ebenfalls sehr ungewöhnlich und betreffen in der Praxis ausschließlich freie Mitarbeiter oder externe Arbeitskräfte, die ohnehin keinen gesetzlichen Urlaubsanspruch besitzen.
Kündigung wegen Nichterreichbarkeit – ist das zulässig?
Grundsätzlich nicht. Auch eine Abmahnung ist nicht möglich, denn eine Pflicht zur Erreichbarkeit besteht – abgesehen von den oben genannten Ausnahmen – nicht. Der Chef darf auch keinen Arbeitnehmer dazu zwingen, einen bereits genehmigten Urlaub abzubrechen oder zu verschieben. Das ist nur bei einem gegenseitigen Einverständnis möglich, zumal dem Betroffenen in diesem Fall kein Ersatzanspruch für bereits angefallene Kosten zusteht. Allerdings raten Experten auch dazu, nicht jedes gesetzlich gewährte Recht in jedem Fall konsequent durchzusetzen.
Sinnvoller ist hingegen, in einer solchen Situation einen Konsens zu suchen, solange der Arbeitgeber nicht die „Gutmütigkeit“ seines Mitarbeiters ausnutzt. Außerdem sollten klare, eindeutige Regeln aufgestellt werden, wer wann und unter welchen Umständen jemanden im Urlaub anrufen darf, kann oder sogar sollte. Dadurch würden nicht nur viele Streitfälle vermieden, sondern außerdem bereits von Anfang an verhindert, dass ein Kollege einen anderen wegen unnötiger Bagatellen in seinem Urlaub stört. / Fotoquelle: fotolia.de / © Production Perig