In Deutschland, aber auch in anderen Industrieländern, ist das Phänomen des Präsentismus weit verbreitet. Oftmals gut gemeint, kann es jedoch sowohl den Betroffenen als auch den Kollegen und dem Unternehmen großen Schaden zufügen.
Was ist Präsentismus?
Der Begriff wird in der Arbeitsmedizin verwendet. Er leitet sich vom Wort Präsenz = Anwesenheit ab. Mit Präsentismus wird eine Situation bezeichnet, in der Arbeitnehmer, die eigentlich krank geschrieben und arbeitsunfähig zu Hause bleiben müssten, trotzdem zur Arbeit gehen. In der Mehrzahl der Fälle wird Präsentismus negativ bewertet, denn in Unternehmen kann er zu erheblichen Verlusten bei der Arbeitsproduktivität führen.
Was bringt Arbeitnehmer dazu, trotz Krankheit zu arbeiten?
Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Wer nicht selbst davon betroffen ist, denkt häufig, dass Arbeitnehmer trotz Krankheit arbeiten, weil sie Angst um ihren Job haben. Das trifft aber nur in wenigen Fällen zu, weil es in Deutschland nicht so einfach ist, einem Mitarbeiter aus gesundheitlichen Gründen zu kündigen. Weit öfter stecken andere Gründe hinter dem Willen, trotz Krankheit zu arbeiten:
- übertrieben starkes Pflichtbewusstsein
- Motivation und Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber
- Sympathie mit den Kollegen
- Erkrankung wird nicht ernst genommen oder ist nur leicht
- Geldbedarf
- häusliche Probleme
- Leistungsdruck (besonders bei Führungskräften)
- Gefühl der Unersetzbarkeit
Welche Risiken entstehen durch Arbeit trotz Krankheit?
Damit tun die Betreffenden im Grunde genommen niemanden etwas Gutes, weder dem Arbeitgeber noch den Kollegen und am allerwenigsten sich selbst. Für den Arbeitgeber bestehen die negativen Folgen in einer geringeren Produktivität. Kranke Mitarbeiter arbeiten weniger gut als gesunde. Sie sind langsamer und können sich nur schwer konzentrieren. Durch die Unaufmerksamkeit werden mehr Fehler gemacht. Die Ausschussquote wächst, eventuell wird Nacharbeit erforderlich. Wichtige Termine können dann nicht eingehalten werden oder geraten in Vergessenheit.
Andere Arbeitnehmer leiden ebenfalls unter dem Präsentismus des Kollegen. Da in den meisten Firmen die Arbeit in Teams verrichtet wird, müssen die gesunden Mitglieder des Teams die verringerte Arbeitsleistung des Kranken ausgleichen, indem sie einen Teil seiner Arbeiten übernehmen – egal, ob dieser nun krank im Bett liegt oder krank zur Arbeit erscheint. Bei Infektionskrankheiten besteht zudem die Gefahr einer Ansteckung. Bei manchen Erkrankungen ist die Konzentration erheblich eingeschränkt und die Sinnesorgane funktionieren nicht richtig, sodass es dadurch beispielsweise bei Berufen wie Kranführer, Kraftfahrer oder Staplerfahrer zu Arbeitsunfällen kommen kann, in die auch andere Mitarbeiter verwickelt werden können. Im Extremfall kann so ein Unfall tödlich enden.
Für den Erkrankten selbst ist es auch fast immer schlecht, trotz Krankheit zur Arbeit zu kommen. Wer bei einer Erkrankung arbeitet, verzögert zumindest den Prozess der Genesung. Unter Umständen kann es auch einen Rückfall geben. Wer manche Krankheiten vernachlässigt, riskiert sogar, dass sie chronisch werden.
Hat Präsentismus auch positive Aspekte?
Ja, das sind jedoch fast immer Ausnahmen. In der Regel überwiegen die negativen Punkte. Bei manchen psychischen Erkrankungen wie Depressionen kann es die Heilung fördern, wenn der Erkrankte Kontakt zu anderen Menschen hat und konkrete Aufgaben erfüllen muss. Das ist gut für das Selbstwertgefühl und stärkt die Überzeugung, gebraucht zu werden. Bei leichten Rückenbeschwerden empfehlen viele Mediziner, sich zu bewegen anstatt zu ruhen. Durch die Bewegung verfliegen die Schmerzen schneller. Außerdem bietet die Arbeit eine Ablenkung, bei der viele die Schmerzen zumindest vorübergehend vergessen. Auch auf Seiten des Arbeitgebers kann es natürlich auch positive Aspekte geben, etwa, wenn der erkrankte Mitarbeiter der einzige ist, der wirklich um einen Arbeitsschritt Bescheid weiß und die Arbeit nicht liegen bleibt, da dieser trotz Krankheit zur Arbeit kommt.
Dürfen Arbeitnehmer trotz Krankschreibung arbeiten?
Entgegen der landläufigen Meinung stellt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) kein Arbeitsverbot dar. Es handelt sich nur um die Meinung eines Arztes, die besagt, dass der Erkrankte nicht arbeiten sollte und eine Prognose, wie lange dieser Zustand noch dauern könnte. Ob der Kranke die Empfehlung befolgt oder nicht, liegt in seinem Ermessen. Abhängig vom Beruf bzw. der Tätigkeit kann der Arbeitgeber dem Erkrankten aber den Zutritt zur Arbeitsstelle verwehren und nach Hause schicken. / Fotoquelle: © fizkes – Shutterstock.com