Der anhaltende Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland wird das Land verändern. Aktuell machen Zahlen von bis zu 1,5 Millionen Neuankömmlingen in diesem Jahr die Runde. Sie werden auch den deutschen Arbeitsmarkt verändern – aber wie?
Mit dem Flüchtlingsstrom kommen vor allem viele junge Männer, also Menschen, die ihr berufliches Leben noch vor sich haben. Nicht wenige Flüchtlinge – insbesondere aus Syrien – verfügen über eine gute Ausbildung und besitzen von daher gute Chancen für eine schnelle berufliche Integration. Doch es gibt auch das andere Extrem: Asylsuchende, die des Schreibens und Lesens nicht mächtig sind. Wie genau der Bildungs- und Ausbildungshintergrund der hier Ankommenden ist, darüber fehlen bisher verlässliche Angaben. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes alles im Fluss.
Zweifel nach anfänglicher Euphorie wachsen
Von Seiten der Wirtschaft ist die Zuwanderung begrüßt worden. Angesichts des drohenden Fachkräftemangels und der vielfach bestehenden Probleme, Ausbildungsplätze zu besetzen, sieht man in den Flüchtlingen ein potentiell interessantes Arbeitskräfte-Potential. Inzwischen ist eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Manchem Verbandsvertreter und Unternehmer ist klar geworden, dass es mit der Eingliederung in die Betriebe nicht so schnell gehen wird. Zunächst müssen Sprachbarrieren überwunden werden und es wird für die Flüchtlinge Zeit brauchen, sich in dem neuen Umfeld zurechtzufinden.
Mancher Arbeitnehmer, der anfangs von der emotionalen Welle um die Neuankömmlinge mitgerissen wurde, fragt sich, welche Auswirkungen der nach wie vor ungebremste Zustrom auf den Arbeitsmarkt haben wird. Dabei spielen auch Ängste um die eigenen Chancen und Möglichkeiten eine Rolle. Wird das neue Angebot an Arbeitskräften auch Löhne und Gehälter in Deutschland beeinflussen? Und sind Flüchtlinge eine potentielle Konkurrenz bei der Bewerbung um einen Arbeitsplatz? Diese Fragen werden zunehmend gestellt.
Erfahrungen anderer Länder mit Zuwanderung
Die ökonomische Theorie scheint darauf eine einfache Antwort zu liefern. Wenn die Nachfrage gleich bleibt und das Angebot steigt, sinkt der Preis auf einem Markt. Übertragen auf den Arbeitsmarkt und die gegenwärtige Situation würde das bedeuten: ein zusätzliches Arbeitskräfte-Angebot durch den Flüchtlingszustrom müsste sich tendenziell negativ auf das Lohn- und Gehaltsniveau auswirken. Dieser Zusammenhang ist allerdings recht schlicht, die Wirklichkeit sieht komplizierter und differenzierter aus. Empirische Untersuchungen bestätigen die Theorie nicht unbedingt.
Es gibt Beispiele massenhafter Zuwanderung in anderen Ländern. Von Anfang der 1990er Jahre bis zum Jahre 2008 erlebte das kleine Dänemark den Zustrom von zehntausenden Somaliern und Afghanen. Großbritannien war nach der EU-Osterweiterung mit zahlreichen Einwanderern aus den Beitrittsländern konfrontiert. Und die USA – das klassische Einwanderungsland schlechthin – erleben seit vielen Jahren, dass Millionen von Mexikanern und Lateinamerikanern kommen, um dort zu leben und zu arbeiten. Alle diese Länder haben den Bevölkerungszuwachs durch die Zuwanderung gut verkraftet. Und von einer negativen Auswirkung für einheimische Arbeitskräfte kann keine Rede sein. Im Gegenteil: viele „Eingeborene“ konnten dadurch sogar besser bezahlte und anspruchsvollere Stellen finden.
Differenzierte Betrachtung erforderlich
Folgende Thesen lassen sich aufgrund der woanders gesammelten Erkenntnisse aufstellen:
- Flüchtlinge haben oft andere Qualifikationen als einheimische Arbeitskräfte. Das wirkt einer unmittelbaren Konkurrenz entgegen;
- viele Zuwanderer übernehmen zunächst einfache und niedrig entlohnte Arbeiten, die wenig gefragt und beliebt sind. Auch hier stellt sich das Wettbewerbsproblem nur eingeschränkt;
- es zeigt sich auch, dass viele zugewanderte Arbeitskräfte bestehende Arbeitsverhältnisse ergänzen und nicht ersetzen;
- nicht zu vergessen ist, dass die Zuwanderer zumindest auf längere Sicht auch ein Wirtschaftsfaktor sind und für zusätzliche Nachfrageimpulse und Konsum sorgen.
Alles in Allem deuten diese Erfahrungen nicht zwangsläufig auf negative Folgen für einheimische Arbeitskräfte hin. Das heißt nicht, dass es in einzelnen Segmenten des Arbeitsmarktes nicht doch zu Konkurrenz kommen kann. Vor allem niedrig-qualifizierte Arbeitskräfte dürften betroffen sein. Die aufkeimende Diskussion um eine Aufweichung des Mindestlohns für Flüchtlinge deutet dies bereits an. Kurzfristig bedeutet der Zustrom allerdings zunächst eine Zunahme der Arbeitslosen in der amtlichen Statistik. Denn es wird eine Zeitlang brauchen, bis die Flüchtlinge den Weg in das Berufsleben gefunden haben. Notwendig ist auch eine Beseitigung gesetzlicher Hürden bei der Arbeitsaufnahme. In den ersten drei Monaten ihres Aufenthaltes dürfen Flüchtlinge hierzulande überhaupt nicht arbeiten, danach ist eine Arbeitserlaubnis erforderlich, bei der eine Vorrangprüfung zugunsten anderer EU-Bürger vorgeschrieben ist. / Fotoquelle: fotolia.de / © dp@pic